Freitag, 16. Oktober 2015

Feministischer Freitag: Wir müssen reden!

Gestern, also am 15. Oktober, war Pregnancy and Infant Loss Awareness Day. Grund genug, mal ein Thema anzuschneiden, über das selten geredet wird, das aber gar nicht so selten ist: Fehlgeburten.

Wer sich in den Medien umschaut, in der Klatsch-Presse genauso wie in der Blogger-Welt, bekommt schnell den Eindruck, Schwangerschaften verliefen immer freudig und problemlos (von den bekannten Übelkeit-Müdigkeit-Wehwehchen mal abgesehen). Fehlgeburten? Fehlanzeige.
Tatsächlich aber enden geschätzte 15% der Schwangerschaften in Fehlgeburten, die meisten davon in den berühmten ersten drei Monaten, einige aber auch erst später. 15%, das sind 1/6, das ist Würfelwahrscheinlichkeit. Dass die eigene Schwangerschaft in einer Fehlgeburt endet, ist also etwa so wahrscheinlich, wie eine 1 zu würfeln. Wer schon mal ein Würfelspiel gespielt hat, weiß, dass das gar nicht so selten ist.

Ich bin 1 von 6. Seit gut einem Monat zähle ich mich dazu. Vorher wusste ich von ein paar Fehlgeburten im Bekanntenkreis, aber das Thema war trotzdem nicht wirklich präsent. Die Reaktionen auf meine eigene Fehlgeburt lassen sich grob in zwei Richtungen aufteilen: entweder reagierten Leute völlig geschockt oder Leute erzählten mir von ihren eigenen Fehlgeburten. Und genau das zeigt das Problem: die Wahrnehmung von Fehlgeburten steht nicht im Verhältnis zu ihrer Häufigkeit. Zweitere Gruppe, die Leute, die plötzlich ihre eigenen Fehlgeburtserfahrungen teilten, war viel größer, als ich erwartet hatte. Erstere Gruppe hingegen war noch nie mit dem Thema in Berührung gekommen, sah Fehlgeburten als äußerst selten und äußerst dramatisch an, bis hin zu erschrockenen Fragen wie "Aber was ist dir denn zugestoßen, dass DAS passieren konnte?". (Ähm, nichts! Nur in den seltensten Fällen werden Fehlgeburten nämlich von "außen", also durch Unfälle oder so ausgelöst. Die meisten passieren "einfach so" und der Grund ist häufig unklar und vor allem unbeeinflussbar, wie etwa Fehler bei der Zellteilung oder zufällige Chromosomenfehler.) Eine relativ große Gruppe wird also völlig aus der Wahrnehmung ausgeblendet. Und das hat Konsequenzen.
Wenn Fehlgeburt nur ein Thema ist, nachdem sie erlitten wurde, dann bleiben Schwangere unvorbereitet auf die Wirklichkeit dieses Themas, wie wahrscheinlich eine Fehlgeburt ist, welche Gründe sie haben kann, wie sie abläuft und wie es danach weitergeht (während viele das Gegenteil annehmen heißt eine Fehlgeburt nämlich meistens nichts für nachfolgende Schwangerschaften). Und das, während auf der anderen Seite der Trend zu einer zunehmenden Information in Hinsicht auf erfolgreiche Schwangerschaften, Prenataldignostik und Geburtsort- und -verlaufswahl geht. Damit werden Fehlgeburten dann, wenn sie eintreten, dramatisiert. Ich will damit nicht sagen, dass es keinen schockierendes und trauriges Ereignis ist. Aber oft wird dieses trotz allem relativ normale (wenn auch nicht schöne) Ereignis hochstilisiert. Auch bei sehr frühen Fehlgeburten (die vor 30 Jahren ohne Zuhause-Schwangerschaftstest oft nichtmals entdeckt worden wären) wird dem verlorenen "Baby" evtl ein Name gegeben und es wird von "Sternenkindern" geredet. Während das sicher für einige seinen Wert als hilfreiche Trauerstrategie hat, birgt es weiterreichende Probleme: Wenn wir Föten in den ersten Schwangerschaftsmonaten als echte Babies ansehen, kommen wir in einen Zwiespalt, wenn wir für die freie Wahl gewollter Schwangerschaftabbrüche, also Abtreibungen, argumentieren wollen. Denn wie kann auf der einen Seite das ungewollte Schwangerschaftsende betrauert werden und auf der anderen Seite das gewollte Ende einer Schwangerschaft akzeptiert werden?


Hierzu ist meiner Meinung nach ein Mittelweg nötig. Eine Fehlgeburt kann betrauert werden, aber mit der Einsicht, dass vor allem die eigenen Vorfreuden und Vorstellungen, die in Vorbereitung auf ein Baby entstanden sind, betrauert werden. Es muss einen Mittelweg geben zwischen einer medizinisch-rationalen Sicht (es ist nur ein Fötus, der ohnehin nicht lebensfähig gewesen wäre, und Fehlgeburten sind häufig und normal) und einer emotional-spirituellen Sicht (es wurde eine echte, ganze Person verloren). Um diesen Mittelweg möglich zu machen, müssen Fehlgeburten, mit ihrer Häufigkeit, ihren Gründen, ihrem Ablauf, aber auch ihrer Traurigkeit, ins Bewusstsein dringen. Und dafür müssen wir: drüber reden!



Und zum weiterlesen zum Thema:
Linda L. Layne - "Motherhood Lost: A Feminist Account of Pregnancy Loss in America"


6 Kommentare:

  1. was für ein sehr guter beitrag! nichts, was mir unbekannt wäre, aber ich glaube wirklich, dass viele frauen viel zu blauäugig in so eine schwangerschaft rennen, weil der fakt der fehlgeburten eben nicht so bekannt ist. mich wird es wohl nicht direkt betreffen, aber als freundin von menschen schrappt man ja hin und wieder mal daran vorbei und wird dann gebraucht. auf der anderen seite ist man als frau ja nicht nur zwangsläufig einnfach so schwanger oder möchte mutter oder eben nicht mutter sein. da hängt ja immer noch ein riesiger rattenschwanz an erwartungen hinten dran. gerade gestern habe ich noch einen weiteren sehr guten blogeintrag dazu gelesen und auch ich habe dazu noch einen in der pipeline. diese thema ist in unserer gesellschaft viel zu komisch beladen. ich gratuliere im freundeskreis bei verkündeten schwangerschaften immer zur erfolgreichen befruchtung und einnistung, denn erstmal ist eine schwangerschaft ja immer "nur" eine sache der fortpflanzung.
    ich hoffe, du kannst deinen kinderwunsch bald erfüllt bekommen.
    liebst,
    jule*

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    1. Das mit dem gratulieren zur erfolgreichen Befruchtung und Einnistung find ich gut. Wobei ich das mit dem gratulieren (also im Sinne von "Gratulation!") ja eh etwas seltsam finde. Als hätte man eine Leistung erbracht. Aber ich vermute, das meinst du mit "nur eine Sache der Fortpflanzung". Alles Gute wünschen ist da wohl sinnvoller. Obwohl ich, als ich schwanger war, auch immer sehr irritiert war, wenn Leute gesagt haben "Jetzt pass aber gut auf dich auf!" Als sei ich plötzlich wertvoller.
      So ganz weiß ich nicht, was du mit "einfach so schwanger" usw. meinst. Aber, ja, generell schwanger sein und Mutter sein und Kinder haben und wie damit generell umgegangen und drauf reagiert wird... das ist ein Thema mit so vielen Aspekten und Diskussionen, die man da noch zu haben kann...
      Dem Ausdruck "Kinderwunsch" haftet für mich auch immer so etwas Verzweifeltes an. Ist ja nicht so, als gäbe es nicht genug andere wichtige und schöne Sachen im Leben, die man auch ohne Kind wunderbar geniessen kann. :-)
      Magst du mir noch verraten, wo ich den anderen guten Blogeintrag finde?
      LG Jana

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    2. mit dem "einfach nur schwanger" meinte ich genau das, was du ansprichst. mit dem auf einmal wertvoller sein, weil man ein kind trägt. so als hätte man auf einmal eine unfassbar wichtige mission, die man ohne schwangerschaft vielleicht nicht hätte oder so ähnlich.
      der andere eintrag ist hier: http://kleinerdrei.org/2015/10/eine-schwangere-bekommt-ein-kind-sie-selbst-ist-keines/
      meiner wird am mittwoch online gehen, denke ich. und "kinderwunsch" ist vermutlich auch "nur" so negativ konotiert, weil man diesen begriff häufig mit nicht zustandekommenden schwangerschaften, verzweifelten hormontherapien und künstlichen befruchtungen in verbindung bringt. grundsätzlich finde ich aber, dass es ein wunsch ist, wie der nach einem erfüllten leben, der großen liebe, dem guten job....
      liebst,
      jule*

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    3. Danke! Guter Artikel, ich stimme zu. Und bin gespannt auf was bei dir kommt am Mittwoch.
      Und ja, mit der Herkunft der negativen Konnotation hast du vermutlich recht.
      Schöne Ferien dir! :-)

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  2. Schön, dass du so offen darüber sprichst. Es ist tatsächlich ein so wenig kommuniziertes Thema, noch mehr als die Probleme schwanger zu werden. Bei beidem erfährt man erst, wie viele Menschen es betrifft, wenn man selbst davon erzählt. Ich habe das zwar (noch?) nicht selbst erlebt, weiß aber von Freunden wie schwierig diese Themen sind. Deswegen toll, wenn mehr Menschen offen darüber reden. Ich wünsche dir, dass es bei euch klappt, wenn es passt und gut ist.
    Liebste Grüße
    Eva

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    1. Danke! Es ist schön zu hören, dass es positiv aufgenommen wird, darüber zu sprechen. Häufig habe ich auch das Gefühl, ich schockiere Leute damit zu sehr.

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